Urbanes Familienleben einer kleinen berufstätigen Familie in Zürich. Einrichtungsideen, Parties und Entertaining, Rezepte und Dekoration.
Wie ihr vielleicht wisst, habe ich unsere erste Tochter im Juli 2012 im 6. Schwangerschaftsmonat überraschend verloren.
Nach der berüchtigten 12. Woche sagte mir noch die Ärztin: „Jetzt können Sie ganz beruhigt sein. Nach diesem Zeitpunkt gehen nur noch 1% der Schwangerschaften verloren.“
Das allerletzte was ich möchte ist, jemandem Angst zu machen, aber es ist mir total schleierhaft, wo diese Zahl herkommt. Wenn es nur 1% ist… mein Bekanntenkreis müsste riesig sein. Leider mussten schon einige Paare diesen Schicksalsschlag verkraften. Genau aus diesem Grund möchte ich versuchen, mit diesem Post ein kleines bisschen zu helfen.
Ich möchte aber garnicht darüber schreiben, wie ein betroffenes Paar den Verlust verarbeiten kann. Das ist sehr individuell und ich könnte es wohl auch garnicht in Worte fassen.
Stattdessen schreibe ich heute für Freunde und Familie von betroffenen Paaren. Sie sind die wichtigste Stütze und stehen genau deshalb plötzlich schockiert und überrumpelt vor so einer grossen Aufgabe. Leicht passiert es, dass Freundschaften leiden, weil Freunde nicht wissen, wie sie sich betroffenen Paaren gegenüber verhalten sollen und sich vorsichtshalber zurückziehen. Eine sehr verständliche Reaktion, dabei würden Freunde doch so sehr gebraucht werden!
Schreckensnachricht: Fehlgeburt
Unmittelbar nach der Frühgeburt unserer Tochter haben wir mit den aller engsten Familienmitgliedern und wenigen Freunden telefoniert. Allen weiteren haben wir ein mail geschrieben um sie zu informieren. Da ich bereits einen grossen Bauch hatte, wussten natürlich alle Bekannten, Kollegen, Nachbarn von der Schwangerschaft. Ihr könnt euch vorstellen, es waren die schwersten Zeilen unseres Lebens.
Ihr könnt den Schmerz nicht nehmen- aber das erwartet auch niemand!
Meinen Mann und mich konnte in dem Moment niemand- absolut niemand- trösten. Meine Mutter nicht, die Hebammen nicht und der Pfarrer auch nicht. Wir haben es auch von niemandem erwartet! Trotzdem waren wir dankbar, für alle die uns einfach gesagt haben, dass sie für uns da sind, oder eine noch so kurze Karte geschrieben haben um dies zu zeigen.
Ich möchte nicht verschweigen, dass es auch Menschen gab, die mir einigermassen nahe standen und von denen ich schlichtweg nichts gehört habe. Menschen, die ich bis dahin täglich gesehen und gesprochen habe. Absolut nichts. Und ich habe bis heute nichts mehr gehört.
Ich verstehe total, dass es sehr sehr schwer ist, wenn man das Gefühl hat man kann nicht helfen. Das ist auch nicht nötig. Ein kleiner Gruss, der zeigt, dass wir auch in schweren Zeiten noch Freunde sind hätte völlig gereicht. Ich habe dann später den Kontakt auch nicht mehr gesucht.
Daher: Bitte fast euch ein Herz auch wenn ihr noch so geschockt seit. Schickt eine kleine, altmodische Karte, vielleicht ruft ihr nach 1-2 Wochen mal an. Je nachdem, wie nahe ihr den Eltern steht.
Wahrscheinlich werdet ihr bei den ersten Treffen mit den Eltern immer nur „Baby/Baby/Baby“ hören. Und viele „warum“ Fragen. Vielleicht auch Gedanken, die euch ganz abwegig oder bizarr vorkommen. Ihr müsst das nicht beantworten können. Ich kann verstehen, wenn mein Gedankenkarussell in den ersten Wochen für niemanden nachvollziehbar war. Trotzdem war ich froh, wenn ich es jemanden erzählen konnte. Vielleicht sitzt ihr auch nur eine ganze Weile schweigend beisammen. Das ist ok.
Ich schreibe hier übrigens ganz bewusst von „Eltern“. Das hört sich vielleicht komisch an, da ja leider kein Kind da ist. Nachdem ich unsere Tochter geboren hatte und sie immerhin eine Stunde in unserem Arm leben durfte, hätte ich es als unglaubliche Beleidigung ihr gegenüber empfunden, wenn man uns das Elternsein abgesprochen hätte. Ich verstehe, wenn sich das extrem anhört. Ich schreibe es trotzdem, um euch meine Gefühle damals zu erklären- vielleicht hilft es eure Freunde besser zu verstehen.
Wann hört die „warum“ Frage endlich auf?
Vielleicht nervt euch auch nach einigen Wochen, dass es immer nur um dieses eine Thema geht. Das kann ich gut verstehen. Ein kleiner Ausflug zur Abwechslung ist sicher eine gute Idee um auf andere Gedanken zu kommen. Wenn es nicht hilft, gebt bitte nicht auf! Einfach zuhören und sprichwörtlich Tee trinken. Es kommen auch wieder bessere Zeiten. Ganz bestimmt!
Und vor allem: Wenn eure Freundin wieder lachen kann, dann lacht mir ihr! Schwimmt einfach mit dem Strom! Bitte sagt nicht so etwas wie: „Du musst nicht lachen, ich weiss ja dass es dir nicht gut geht!“
Ja, die Leute sagen solche Sachen! Und was ist das Resultat? Eure Freundin fühlt sich schuldig weil sie gelacht hat, obwohl sie anscheinend noch in der tiefsten Trauerphase sein sollte. „Bin ich eine schlechte Mutter für mein totes Kind?“ Ja, solche Gedanken kommen einem in den Sinn.
Schuldgefühle
„Jetzt übertreibt sie aber“ denkt ihr vielleicht. -Ja, trauernde Mütter neigen zur Übertreibung. Diesmal aber nicht. Hier eine wahre Geschichte:
Etwas über drei Monate nach dem Verlust unserer Tochter ging ich mit jemandem aus meinem engen Umfeld in Zürich spazieren.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich leider sehr wenig Kontakt zu einigen unserer Freunde und Bekannten. Alles sehr liebe Menschen, ich war sicher, dass sie sich einfach hilflos fühlten uns gegenüber. Ich wusste auch, dass es ein oder zwei Schwangerschaften Omi Bekanntenkreis gab, von denen man uns (sicherlich aus Rücksicht) nichts erzählt hatte. Ich wollte also gern den Kontakt wieder herstellen und zeigen, dass wir uns ein kleines bisschen erholt hatten. Dass ich keiner Freundin „böse“ war, wenn sie selbst schwanger wird.
Ich erzählte der Person auf dem Spaziergang also, dass ich für meinen Mann eine kleine Geburtstagsparty bei uns zu Hause geben möchte um unsere Freunde in einer lockeren und positiven Atmosphäre wiederzusehen.
Ihre Reaktion macht mich heute noch sprachlos:
„Ingrid! So weit bist du noch nicht! Ich finde nicht gut, dass du jetzt Party machen willst, wo du im Juli erst dein Kind verloren hast! Mache dir doch nichts vor!“
Wow! Das sass!
Heute (Dez. 2018) -ziemlich genau 6 Jahre nach diesem Spaziergang in Zürich bin ich immer noch sauer und geschockt. Gesagt habe ich vor Schreck erstmal gar nichts, meine Gedanken aber waren diese:
„Ich darf nicht mehr glücklich sein!“
„Ich bin eine schreckliche Mutter!“
„Hat sie Recht und ich spiele mir selbst etwas vor?“
„Ich will meine Freunde nicht verlieren- ich würde mich freuen, sie wiederzusehen.“
„Ich habe aber wirklich Lust darauf! Das heisst, ich muss total egoistisch sein!“
Dieses Gespräch hat mich in der Trauerarbeit ein ganzes Stück zurückgeworfen und ganz neue Sorgen und Wunden aufgerissen. Ich kenne eure betroffene Freundin natürlich nicht, aber ich bin sicher, wenn sie einen Schritt nach vorne machen will- dann lasst sie doch bitte! Schwimmt einfach mit dem Strom, d.h. mit der Stimmung. Nehmt sie in den Arm, wenn die weint, hört zu wenn sie erzählt (auch wenn es völlig verwirrter Quatsch ist!) und lacht, wenn sie lacht.
Und vor allem: Niemand erwartet, dass ihr den magischen Satz kennt, der allen Kummer vergessen macht!
Ich weiss, das ist viel verlangt, aber es kommen auch wieder bessere Zeiten!
Trauernde Väter
Jetzt schreibe ich es tatsächlich erst am Ende, dabei ist es so wichtig: Vergesst die Väter nicht! Vielleicht macht es hier einen Unterschied, wann die Schwangerschaft verloren ging, ich weiss es nicht. Bei uns was es im 6. Monat, wir haben zusammen einige Komplikationen durchgestanden, dann die Zeit mit dem Bauch und den Bewegungen, dann die Frühgeburt, die Namenssuche und die Beerdigung mit allen Entscheidungen die anstanden.
Es wäre also extrem unfair zu sagen: „Das Baby war ja nur in deinem Bauch, er hat es kaum mitgekriegt.“ (Auch schon gehört). Meiner Erfahrung nach trauert der Vater genauso wie die Mutter. Daher eine Herzensbitte: Vergesst die Väter nicht!
Alles Gute!
Ingrid
Hast du ähnliches erlebt? Ich glaube, dass persönliche Erfahrungen anderen Menschen helfen können. Schreibe uns doch deine Geschichte in’s Kommentarfeld!
Ihr könnt mir auch gern Fragen stellen. Falls ich es kann, helfe ich gerne.